Jumbo-Visma: Nach der Tour kommen die „sch Fragen“

Tour-Sieger Jonas Vingegaard und sein Team sind die neuen Dominatoren des Radsports. Der Zweifel fährt wie immer mit, doch auf Doping-Diskussionen hat Jumbo-Visma keine Lust.

In der Abendsonne von Paris sang Jonas Vingegaard stolz die dänische Nationalhymne, küsste Töchterchen Frida auf die Wange und hielt dann eine emotionale Rede: Auffällig ausführlich dankte er auf dem Podium der Tour de France jedem einzelnen seiner Teamkollegen. Der neue Tour-Dominator wusste, was sich gehörte. Denn seine Mannschaft hatte in den vorangegangen drei Wochen einen immensen Anteil am bis dato größten Karriere-Erfolg des schüchternen 25-Jährigen gehabt.

Mit einer beinahe unverschämten Dominanz trat das Team Jumbo-Visma bei der Frankreich-Rundfahrt 2022 auf. Sechs Etappensiege, Grünes Trikot, Bergtrikot, zudem Vingegaards souveräner Toursieg mit knapp drei Minuten Vorsprung auf Titelverteidiger Tadej Pogacar: Die Erfolgsbilanz der niederländischen Equipe liest sich beeindruckend. Doch bei derartigen Leistungen fährt naturgemäß auch der Zweifel immer mit – besonders im Radsport mit seiner zutiefst unrühmlichen Vergangenheit.

Bei Jumbo-Visma haben sie auf solche Diskussionen wenig überraschend keine Lust: „Das ist so eine Scheiß-Frage – sie kommt jedes Jahr. Nur weil wir auf diesem hohen Niveau fahren, müssen wir uns verteidigen. Ich versteh’s einfach nicht“, sagte Vingegaards belgischer Teamkollege, der dreifache Etappensieger und Träger des Grünen Trikots, Wout van Aert, als er zum Thema Doping befragt wurde.

Vingegaard selbst, der in Paris neben dem Gelben Trikot auch noch das gepunktete Jersey des besten Bergfahrers überstreifen durfte, reagierte auf die gleiche Frage deutlich gefasster: „Wir sind total sauber, jeder von uns. Ich kann für das ganze Team sprechen: Keiner von uns nimmt etwas Verbotenes“, sagte er und erklärte: „Wir sind wegen unserer Vorbereitung so gut.“

Eines sei an dieser Stelle ausdrücklich betont: Es gibt keinerlei stichhaltige Verdachtsmomente gegen Fahrer des Teams. Auch im einstmals chronisch dopingverseuchten Radsport, der im Übrigen in den vergangenen Jahren große Fortschritte im Anti-Doping-Kampf gemacht hat, gilt die Unschuldsvermutung. „Der Radsport hat sich verändert“, betont auch van Aert: „Wir werden zu jeder Zeit des Jahres kontrolliert, nicht nur bei der Tour – auch zuhause.“

Geschkes Bergtrikot-Frust bei der Tour de France

Simon Geschke hat den Gewinn des Bergtrikots bei der Tour de France knapp verpasst. Das Trikot als Stellvertreter nach Paris tragen zu dürfen, ist für den 36-Jährigen kein Trost.

Simon Geschke war der Frust deutlich anzusehen, als er am Freitag zum Start der 19. Etappe rollte. Der 36-Jährige trug zwar noch immer das Gepunktete Trikot des Führenden in der Bergwertung der Tour de France – doch er war es eigentlich nicht mehr. „Ich würde es lieber nicht tragen, weil ich halt nur Zweiter bin“, hatte Geschke zuvor dem „ZDF“ gesagt: „Jetzt bin ich eben die Schaufensterpuppe, die das Trikot nach Paris fahren muss.“

Der Hauptverantwortliche für die Enttäuschung befand sich in Castelnau-Magnoac gleich in Geschkes Nähe – und trug das Gelbe Trikot. Jonas Vingegaard, designierter Nachfolger von Tadej Pogacar als Sieger des wichtigsten Radrennens der Welt, wird am Sonntag in Frankreichs Hauptstadt auch die Bergwertung gewinnen.

Da aber auch der dänische Überflieger immer nur ein Trikot auf seinen schmalen Schultern tragen kann, wird Geschke als Wertungszweitem die fragwürdige Ehre zu Teil, das Bergtrikot stellvertretend nach Paris zu tragen.

Neun Tage lang hatte Geschke zuvor die Bergwertung angeführt und war dabei nicht nur in die Herzen der deutschen Fans geklettert. „Die letzten Tage waren natürlich super“, sagte der Berliner. Neben den Beinahe-Ritten von Lennard Kämna zum Etappensieg und ins Gelbe Trikot, war sein Kampf ums Bergtrikot aus deutscher Sicht das Highlight der Tour 2022.

Am Donnerstag war dieser Kampf in den Pyrenäen zu Ende gegangen. Und als Geschke von seinem Rad stieg, abgekämpft, verschwitzt, geschlagen, war die Enttäuschung riesig: „Ich habe alles gegeben. Mir sind halt einfach die Kräfte ausgegangen“, sagte er geknickt und verschwand schnell im Bus seines Cofidis-Teams.

Es hat nicht sollen sein mit dem ersten deutschen Sieg in der 89 Jahre langen Geschichte der Bergwertung der Frankreich-Rundfahrt. Die letzte Bergetappe der Tour war für Geschke die entscheidende eine zu viel. Früh musste er den Strapazen der vergangenen Tage Tribut zollen, fiel zurück und konnte keine weiteren Punkte sammeln.

 

Pogacar sicher: Tour de France wird in Pyrenäen entschieden

Tadej Pogacar will es beim Kampf um seinen dritten Sieg bei der Tour de France nicht auf das Zeitfahren auf der vorletzten Etappe ankommen lassen.

Der 23 Jahre alte Slowene kündigte deshalb viele Attacken auf Spitzenreiter Jonas Vingegaard auf den Pyrenäen-Etappen von Dienstag bis Donnerstag an.

„Ich muss jede Chance ergreifen und an jedem Anstieg angreifen, um jeden Tag etwas Zeit zu gewinnen. Ich hoffe, dass ich am Ende nichts bereue“, sagte Pogacar.

Der zweimalige Tour-Sieger liegt 2:22 Minuten hinter dem Vorjahreszweiten Vingegaard. Diesen Abstand will Pogacar in den Bergen wettmachen.

„Ich muss die Lücke vor dem Zeitfahren schließen. Jonas ist richtig gut. Ich werde nicht auf das Zeitfahren wetten und hoffen, dass ich dort 30 Sekunden oder zwei Minuten heraushole“, sagte der Kapitän des UAE-Teams.

Nach drei Tagen in den Pyrenäen mit zwei Bergankünften wird die Tour am Samstag im Kampf gegen die Uhr entschieden. Von Lacapalle-Marival nach Rocamadour sind 40,7 Kilometer zurückzulegen. Beim Auftaktzeitfahren in Kopenhagen über 13,1 Kilometer lag Pogacar nur acht Sekunden vor Vingegaard.

Pogacar wäre am Ende auch mit Platz zwei zufrieden. „Es ist nicht das Ende der Welt, wenn ich nicht in Gelb nach Paris komme. Der zweite Platz ist auch gut“, sagte das Ausnahmetalent.