Doping-Jäger plädiert für Armstrong-Vergebung

Am 22. Oktober 2012 wurde Lance Armstrong lebenslang gesperrt und verlor all seine Tour-de-France-Titel. Zehn Jahre später empfiehlt USADA-Boss Travis Tygart, dem Amerikaner zu vergeben.

Vor wenigen Wochen saß Lance Armstrong auf einer mallorquinischen Terrasse und zeichnete einen Podcast auf. Mit dabei ein Haufen ungewöhnlicher Gäste: Sein einstiger Rivale Jan Ullrich gehörte dazu, ebenso wie der noch aktive Topsprinter Mark Cavendish. Armstrong scheint wieder einen Platz zu haben im Radsport-Zirkel – eine Entwicklung mit der vor zehn Jahren nicht zu rechnen war.

Damals, am 22. Oktober 2012, hatte der Texaner endgültig vor den Trümmern seiner Karriere gestanden: überführt, geächtet, lebenslang gesperrt. Sieben Tour-Siege wurden dem größten Dopingsünder der Radsport-Geschichte aberkannt, Olympisches Bronze ebenso – noch nicht einmal den Sieg bei der Rheinland-Pfalz-Rundfahrt durfte Armstrong behalten.

„Das war ein sehr wichtiges Ereignis für den globalen Sport“, erinnert sich Travis Tygart, damals wie heute Chef der US-Anti-Doping-Agentur USADA, im Interview mit dem „SID“ anlässlich des zehnten Jahrestages. „Wir haben damit gezeigt, was bei fehlender Kontrolle passiert und warum es entscheidend ist, für Gerechtigkeit im Sport zu kämpfen.“

Im Sommer 2012 hatte die USADA zunächst ihren Report zum Fall Armstrong veröffentlicht. Darin ist die Rede vom „höchstentwickelten und erfolgreichsten Dopingprogramm, das die Sportwelt jemals gesehen hat“. Der Weltverband UCI, der unrühmlich lange an Armstrongs Seite gestanden hatte, bestätigte unter dem öffentlichem Druck schließlich die lebenslange Sperre.

Einige Zeit später packte der Beschuldigte dann auch selbst aus: Bei TV-Moderatorin Oprah Winfrey gestand Armstrong seine Verfehlungen – zumindest teilweise.

„Die ganze Wahrheit wird wohl nie ans Licht kommen. Aber das Wichtigste war, dass er seine Vergehen eingestanden hat“, sagt Tygart. Der 51-Jährige weiß, wovon er spricht: Mit seinen Ermittlungen war er an der Aufdeckung des flächendeckenden Dopingsystems im Radsport der 1990er und 2000er Jahre maßgeblich beteiligt.

Und Armstrong kehrt derweil in die Radsport-Öffentlichkeit zurück – auch in Deutschland. In einer „ARD“-Dokumentation schilderte der 51-Jährige kürzlich, wie er dem gefallenen Ullrich in dessen schwersten Stunden zur Seite gestanden hatte. Die beiden verbindet seitdem eine Männerfreundschaft – inklusive gemeinsamen Rad-Ausfahrten und Podcast-Aufnahmen auf Mallorca.

Zehn Jahre nach dem endgültigen Einsturz von Armstrongs Doping-Imperium scheinen sich sowohl der Radsport als auch sein berühmtester Betrüger wieder gefangen zu haben. „Ich wünsche Lance seit seinem Geständnis nur das Beste“, sagt Tygart. Er wirkt, als würde er es ernst meinen.